Boring propaganda doesn't work
14, Juli 1999
"Save the Planet, Kill Yourself"
- Was sich nach Trash anhört, ist für den radikalen Veganer Chris
Korda und seine Church of Euthanasia eine politische Botschaft, Antisemitismus
inklusive
Die Idee ist nicht neu: Der Evolution
ist ein Fehler unterlaufen, sie hat den Menschen hervorgebracht. Und dieser
treibt jetzt mal eben all die anderen Hervorbringungen der Evolution ab.
Der Musiker Chris Korda hält dagegen. Seine Church of Euthanasia,
die über einige Tausend Mitglieder verfügt, von der US-Finanzbehörde
als gemeinnützige erzieherische Einrichtung anerkannt ist und der
Reverend Korda vorsteht, predigt daher das Ende der Vermehrung.
Sex sei gut, aber die Fortpflanzung
und Ausbreitung des Menschen bringe nichts als Elend mit sich. "Save the
Planet, Kill Yourself" lautet eine Parole. Und so heißt dann auch
ein Stück auf seiner neuen Platte. Eine Platte, die in den letzten
Wochen von Kritikern quer durch alle Musikzeitungen gelobt wurde, da sie
Art-Rock ˆ la Pink Floyd und elektronische Musik auf erstaunliche Weise
miteinander versöhnt und dabei nicht in krautrockendes Gedudel verfällt.
Kordas Sounds sind dicht, ziemlich
mitreißend und lassen tanzen. Allerdings ist es nicht nur die Musik,
die Chris Korda zum Popstar macht. Besucht man die Web-Page der Church
of Euthanasia (COE) bekommt man den Eindruck, es mit prima durchgeknallten
Weirdos zu tun zu haben, eine Art amerikanische-veganische APPD.
Die COE steht für öffentliches
Cross-dressing, allen voran Reverend Korda selbst, der sich kleidet, als
sei er seine eigene Tante; die Kirche demonstriert mit einem riesigen Schaumstoffpenis
vor Samenbanken; sie fordert auf Plakaten dazu auf, für Jesus einen
homosexuellen Fötus zu verzehren; sie schwenkt auf Wahlkampfveranstaltungen
eines besonders konservativen Senators Hakenkreuze - wohlgemerkt, um ihn
zu unterstützen -, da er die einzige Hoffnung des faschistischen Amerikas
sei. Sie verbreitet Schlachtertips, welche Teile des menschlichen Körpers
genießbar seien und welche Barbecue-Soßen dazu passen. Voll
provo das, und erst einmal ziemlich lustig.
Genau wie die Homepage ist die Musik
für Korda ein Vehikel zur Erzeugung einer Art politischer Diskothek.
"Elektronische Musik ist eine weitverbreitete Form der Propaganda, sie
transportiert Inhalte einfach, zumindest, wenn man eine geistreiche Produktion
voraussetzt. Ich kann mich mit den müden Klischees des Rock oder des
Punk, die Fake-Rebellion massenhaft vermarkten, nicht identifizieren. Die
Eckpfeiler der Industriegesellschaft - Industrialismus, Globalismus, Kontrolle
- haben sich nicht verändert und werden sich nicht verändern.
Ich versuche Leute davon zu überzeugen, ihre Abhängigkeit von
dieser Gesellschaftsform - zum Beispiel dadurch, sich nicht zu vermehren
- zu reduzieren, als erster Schritt, um sie ganz zu befreien. Ich bin gegen
Politik, daher ist die apolitische Natur des Technoszene für mich
eher ein Vorteil."
So schreibt Korda und insoweit klingt
die Lehre des Kirchenführers sexy und noch sympathisch, sie erscheint
als liebenswürdige Veganerei, die, wäre sie mit mehr Erleuchtungsbimbam
umgeben, auch dem putzigen Dr. Motte hätte einfallen können.
Natürlich beinhaltet seine Lehre den für alle politisch aktiven
Veganer typischen Denkfehler, daß sie den Menschen selbst nicht als
Teil der Natur betrachtet, sondern ihn für etwas Über- oder Antinatürliches
hält, das sich quasigöttlich selbst überwinden kann.
Chris Korda allerdings ist weder
naiv noch ist er ein schlechter Propagandist. Das aber macht ihn - auf
den zweiten Blick - zu etwas ganz anderem als einem Popstar. Denn er, dessen
Auftritte vor allem zu Vermittlungszwecken so beeindruckend cool daherkommen,
ist der gewiefte Promotor seiner Lehre. Anders als andere Veganer ist er
kein hinterwäldlerischer Naturanbeter mit ausgeprägter Technikfeindlichkeit.
Die Benutzung von Technologie findet
Korda völlig okay; mit jedem Mittel, schreibt er, mit dem man etwas
erbaue, könne man das dann auch wieder zerstören. In diesem Fall
die Zivilisation. So begreift er sein Auftreten nicht als Kunst. Pop ist
ihm ein Transportmittel, für ihn sind seine Musikstücke an der
Oberfläche banal, denn es geht um Erweckung. Er benutzt seine Vocal-Samples
anders als andere Elektronik-Rocker, sie sind hier tatsächlich als
Botschaften gemeint.
"Meine Musik ist nur dann effektiv,
wenn sie die Leute unterhält. Boring propaganda doesn't work. Der
Unabomber ist ein gutes Beispiel. Sein 30 000 Worte-Manifest war gut durchdacht,
hatte jedoch keine Entertainmentqualitäten. Die meisten Leute haben
das beiseite gelegt und sich dem Sportteil zugewandt. Die Aktivitäten
der Church of Euthanasia erscheinen oft unsinnig oder provokativ. Das folgt
aus einer Strategie, die ihre Wurzeln im Dadaismus oder in Anti-Art-Bewegungen
hat und auf dem Wissen basiert, daß das Paradoxe das beste Mittel
gegen Totalitarismus ist." Seine Verteidigung des Unabombers kommt nicht
von ungefähr. Korda bezieht sich wiederholt positiv auf den rechtsradikalen
Akademiker, der im holzhüttenwarmen antiurbanistischen Naturburschentum
den Weg zum Heil sah und für die Verbreitung seiner Lehre sogar Attentate
beging.
Korda erklärt, daß die
Erregung über jemanden wie den Unabomber bigott sei, sie erscheine
"surreal angesichts der Tatsache, daß amerikanische B 52 die Bevölkerung
Jugoslawiens in die Steinzeit zurückbomben". Die Lehre des Unabombers
hält er für richtig. Aber sie ist ihm nicht rigoros genug. Gewalt
hält er - obschon er für militante Aktionen Bewunderung hegt
- grundsätzlich nicht für das geeignete Mittel, um sein Ziel,
die menschenlose Erde, durchzusetzen. Denn gerade der Krieg versage als
Methode vollends.
"Historisch gesehen, sind Kriege
völlig uneffektive Formen der Bevölkerungsreduzierung, nicht
nur, weil ihnen Baby-Booms folgen, sondern auch industrieller Wiederaufbau
und ökonomisches Wachstum, etwa in Deutschland und Japan. Moderne
Kriege werden geführt in Zusammenarbeit mit industriellen Kräften,
und könnten als Spasmen des technologischen und ökonomischen
Wachstums angesehen werden." Kordas Antikapitalismus speist sich allein
aus der Vorstellung, die Industriegesellschaft sei angetreten, die Natur
zu zerstören. Er ist der Anwalt der Tiere. Menschen kümmern ihn
dagegen weniger.
Selbst der Holocaust läßt
ihn relativ gleichgültig. "Krieg ist nicht die Ausnahme, sondern die
Regel, der wahre Inhalt des Industrialismus. Produktion und Verbrauch verbinden
sich auf dem höchsten Punkt der Effektivität zu einem einzigen
Prozeß der Desintegration. Was den Holocaust so schockierend machte,
war, daß die Lager und Eisenbahnwaggons so gewohnt waren, so gewöhnlich.
Die gleichen Techniken wurden seit einem Jahrhundert auf Tiere angewandt
und sind bis heute in Verwendung. In den USA schlachten wir mehr als eine
Milliarde Tiere im Jahr, und das oft in factory farms, die sehr verdächtig
nach Dachau aussehen." Daß er mit diesen Worten den Holocaust relativiert,
stört ihn wenig.
"Das Leid der Juden übersehe
ich nicht. Mir geht es aber darum, daß noch immer Juden da sind,
vielleicht nicht so viele in Europa, aber sicher in den Vereinigten Staaten.
Um es kraß auszudrücken: als Rasse, als Kultur wachsen die Juden
nach. Die Millionen nichtmenschlicher Wesen, die wir in den letzten 500
Jahren ausgerottet haben, wachsen nicht nach. Sie können nicht nachwachsen,
denn sie sind verschwunden, für immer.
Niemand baut ihnen Denkmäler,
weil der Holocaust dieser Wesen keine Geschichte ist, es ist die Gegenwart,
es passiert jetzt. Dort, wo die Nazis scheiterten, hat die Industriegesellschaft
Erfolg, rottet alle fünf Minuten eine Spezies aus, Tag für Tag,
Jahr für Jahr."
Der Holocaust ist für einen
wie Korda nicht länger ein spezifisches Ereignis, denn er passiert
ja überall und jeden Tag. Damit sind die Juden plötzlich nur
eine Opfergruppe unter vielen. Mehr noch: Korda untersucht politische Ereignisse
nur im Zusammenhang mit der damit verbundenen Wirkung. Insofern es ihm
dienlich erscheint, biegt er sich dafür die Ereignisse zurecht. Holocaust
und Krieg erscheinen einem wie ihm daher nur noch als ineffektiv - man
sehe ja, daß noch immer Juden auf Erden seien. Heißt das, einen
"erfolgreichen", einen auch in den USA "erfolgreichen" Holocaust hätte
Korda begrüßt? So weit traut er sich dann doch nicht.
Korda verurteilt Völkermord
dann doch wieder, insbesondere den an den Indianern, mit dem Argument,
daß jeder freiwillig aus dem Leben scheiden solle. Warum er wiederum
dann die Morde des Unabombers verteidigt, bleibt schleierhaft. Korda und
die Church of Euthanasia begeben sich in genau die gleiche Falle, in die
die Provo- und Sponti-Aktionisten Anfang der achtziger Jahre steuerten.
Mit der permanenten Relativierung des Holocaust wird dieser zunächst
marginalisiert, dann aber wiederum als anwendbare Möglichkeit denkbar.
Krieg, Holocaust, Faschismus, all das verkommt so zur Formfrage.
Es gebe, schreibt die COE in einer
ihrer Mitteilungen, ein Foto des nackten Korda in einem Krematoriumofen
des KZ Dachau. Das Photo sollte ursprünglich sogar als Cover des kommenden
Albums verwendet werden. Für den Erfolg der "besonderen Persönlichkeit"
ist Korda, so scheint es, jedes Mittel recht. Antisemit zu sein, gehört
offensichtlich dazu.
-
Oke Göttlich / Jörg
Sundermeier
Chris Korda & The Church of Euthanasia:
"Six Billion Humans Can't Be Wrong". Gigolo Records/EFA |