Church of Euthanasia

The One Commandment:
"Thou shalt not procreate"

The Four Pillars:
suicide · abortion
cannibalism · sodomy

Human Population:
SAVE THE PLANET
KILL YOURSELF




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Entschuldige dich bei der Zukunft


Text von Anna Burai
TRIGGERWARNUNG [Suizid]

Für das Klima weniger heizen, mit dem Fahrrad fahren und bloß keine Kurzstrecke fliegen – aber schon mal darüber nachgedacht, für das Klima auf Kinder zu verzichten? Seit fast 30 Jahren setzt sich die Aktivistin, Sektenführerin und Künstlerin Chris Korda dafür ein. Jetzt blickt sie zurück auf die Tragödie des menschlichen Versagens.

Noch vor knapp 20 Jahren stand Chris Korda mit ihren Sektenanhänger:innen auf dem demokratischen Parteitag in New York und verteilte mit gefälschtem Presseausweis um den Hals kleine, etwa handgroße, viereckige Sticker mit der Aufschrift „Save the Planet, Kill Yourself“. Plakativ, kontrovers und herrlich unorthodox – Standardprogramm bei der Umweltaktivistin und ihrer Gruppe. Bekommt keine Kinder, um den Planeten zu entlasten und um die Menschheit vor der großen Klimakatastrophe zu retten. „Thou shalt not procreate“ – zu deutsch „Du sollst dich nicht fortpflanzen – wird zum Grundstein der 1992 von ihr gegründeten antinatalistischen Sekte „The Church of Euthanasia“. Gemeinsam mit der US-amerikanischen Religions- gemeinschaft stand Korda immer wieder im Laufe der Neunziger und Nuller Jahre mit schwarzen Plakatrollen auf den Straßen Amerikas, die weiße Aufschriften mit Slogans, wie „Save the Planet, Kill Yourself“ oder „Eat a Queer Fetus for Jesus“, zierten. 1995 waren Mitglieder zu Gast beim toupierten Talkshow-Star Jerry Springer vor rund neun Millionen Amerikaner:innen in der liebevoll betitelten Folge „I want to Join a Suicide Cult.“

In ihrer temporären Wohnung in Berlin-Wedding, zwischen braunen Pappkartons gefüllt mit eingeflogenen Dokumenten und „Zeug“ aus New York sowie einem komplexen Mischpult-Computer-Setup, sitzt die gebürtige US-Amerikanerin auf der Couch im Wohnzimmer. Die Nachbarschaft und die Wohnung sind erstaunlich ruhig. Chris Korda sieht immer noch so aus wie vor 30 Jahren: die charakteristische Bob-Frisur (diesmal ist es eine azur- blaue Perücke) und ein kurzes Spaghettiträger-Kleid mit Leopardenmuster – nur ein bisschen älter und wie ihre Wohnung etwas ruhiger. Das Mischpult nimmt in diesem Raum genauso viel Platz ein, wie es das auch metaphorisch in ihrem künstlerischen Schafen tat – eine ganze Menge.

In ihrer Musikkarriere schafte Korda, wie in ihren Protesten, den Spagat zwischen Dada und Aktivismus. Ihr Album „Six Billion Humans Can,t Be Wrong“ sollte vor allem kritisieren und provozieren: „Vieles von meinem früheren Output war sehr ironisch und sehr sarkastisch“, sagt die Musikerin rückblickend. „Die Songtexte bestanden aus Sätzen wie ‚kauf, kauf, konsumier mehr, sei glücklich, und so weiter. Es hat gewisse kindische, punkige Eigenschaften. Das erste Album ‚Six Billion Humans Can,t Be Wrong, ist voll mit sowas. ‚Iss, iss, iss, iss, spül, spül, spül, spül, – die Art, wie es Wörter verwendet, ist sehr punk.“ So leicht die Texte zu belächeln sind, die Materie ist todernst: Wenn wir jetzt nicht handeln, droht die absolute Klimakatastrophe.

Das war 1999. Innerhalb der letzten 30 Jahre, in denen Korda aktiv war, musste sie ihre Befürchtungen Realität werden sehen: „Wir haben vorhergesagt, dass der Klimawandel eine treibende Kraft wird und die menschliche Zivilisation komplett verändern wird. Das ist passiert. Wir haben vorhergesagt, dass die Population weiterhin wachsen wird, und das ist sie auch. CO2 würde sich kontinuierlich in der Atmosphäre ansammeln und das hat es“, erklärt sie. „Nichts davon war besonders schwer vorherzusagen. Ich habe keine Kristallkugel. Ich bin nicht Nostradamus. Ich habe nur die wissenschaftlichen Quellen gelesen und alles lag vor. Es lag die ganze Zeit schon vor unseren Nasen.“

Dabei muss Antinatalismus als Lösung für den Klimawandel kritisch hinterfragt werden. Der Philosophie wird vorgeworfen, stark in der sogenannten „Eugenik“ verankert zu sein. Die Eugenik ist ein Konzept, das die selektive Züchtung des Menschen nach rassistischen, sexistischen oder ableistischen Vorstellungen einer „optimierten Gesellschaft“ beschreibt. Antinatalist:innen wie Korda distanzieren sich hingegen davon und fordern einen von Grund auf freiwilligen Verzicht auf Kinder. „Eugeniker:innen versuchen, den Anteil ihrer DNA im Genpool zu erhöhen, während meine Anhänger:innen ihre DNA aus dem Genpool eliminieren. Deshalb ist meine Arbeit das Gegenteil von Eugenik“, sagt Korda. „Das Verhindern eines potenziell unendlichen Stammbaums von Nachkommen ist die wirksamste Art, seinen Beitrag zur Ideologie der Eingrenzung des Bevölkerungswachstums zu demonstrieren.“ Sie bezieht sich hierbei auf einen Artikel des Environmental Research Letters aus 2017: Eine US-Familie, die sich dafür entscheidet, ein Kind weniger zu bekommen, würde die gleichen Emissionsreduktionen erzielen wie 684 Jugendliche, die sich für den Rest ihres Lebens für umfassendes Recycling entscheiden.

Aber wie lassen sich antinatalistische Prinzipien gesamtgesellschaftlich, weltweit ohne Diskriminierung etablieren? Die Aktivistin stößt hierbei an ihre Grenzen: „Während meiner Lebenszeit hat sich die menschliche Bevölkerung mehr als verdoppelt – von drei Milliarden auf acht Milliarden. Sie erreichte sechs Milliarden rechtzeitig zur Veröfentlichung meines Albums Six Billion Humans Can,t Be Wrong im Jahr 1999. Seitdem ist die Bevölkerung um ein Drittel gewachsen, was mich zwang, dasselbe Album für seine Wiederveröfentlichung im Jahr 2021 mit Eight Billion Humans Can,t Be Wrong zu betiteln“, erklärt sie. „Bisher ist es mir ofensichtlich nicht gelungen, die Zerstörung unserer Zukunft zu verhindern, aber das war auch nicht mein primäres Ziel.“ Sie wollte das Bewusstsein für die Überbevölkerung und das Massenaussterben schärfen. „Ich plädiere für die Nichterzeugung, weil dies die einzige ethische Haltung in einer stark überbevölkerten Welt ist.“ Die Wirksamkeit hinter ihrem Aktivismus sei dabei zweitrangig. Stattdessen solle es staatliche und finanzielle Initiativen geben, um die Bevölkerung zur Populationsverringerung auf freiwilliger Basis zu motivieren. „Der Staat sollte eine Abtreibung ermöglichen und jedem Menschen die Möglichkeit geben, sein eigenes Leben schmerzlos zu beenden. Aber das sind Fantasien im heutigen politischen Klima. Ich bin ohnehin Künstlerin und keine Politikerin“, meint Korda.„Was für mich zählt, ist, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Meine Ideen verbreiten sich immer mehr von selbst, und das ist der wahre Maßstab für ihren Wert. Man wird sich an meine Bewegung nicht wegen ihres Pragmatismus erinnern, sondern wegen ihrer Rechtschafenheit.“

Während ihrer Laufahn erntete die Aktivistin für viele Aktionen scharfe Kritik. Das Musikvideo ihres Songs aus 2002 „I Like To Watch“ zeigte Aufnahmen der Terroranschläge vom 11. September, die mit Pornografie collagiert wurden. Zwischen 2009 und 2019 pausierte sie ihre Musikkarriere, verschwand von den DJ-Pulten der Klubs, widmete sich neuen künstlerischen Interessen. „Ich habe aus verschiedenen Gründen einen Stillstand mit meiner elektronischen Musik erreicht. Ich habe einen Stillstand mit der Kirche erreicht. Da sind die Dinge auch nicht mehr so gut vorangeschritten wie bisher. Und Dinge haben sich geändert. Der 11. September hat alles verändert. Wir konnten nicht durch die Straße wandern mit verrückten Bannern und Plastik-Fötus- Barbecues in Parks veranstalten. Das konntest du vergessen. Plötzlich gab es neue Gesetze, die uns daran hinderten, so etwas wieder zu machen.“ 2019 und 2020 taucht sie mit ihrer Platten „Akoko Ajeji“ und „Polymeter“ wieder in der Musikszene auf. „Akoko Ajeji“ wird zum wahrscheinlich ersten Album aller Zeiten, das auf komplexen Polymetern basiert und technisch so anspruchsvoll ist, dass die Künstlerin kurzerhand ihren eigenen MIDI- Sequencer programmierte, da die kommerziellen Softwares mit Kordas Ansprüchen nicht mithalten konnten.

„Als Kind hatte ich eine seltsame Gabe für Maschinen“, erzählt sie. „Ich konnte den Toaster meiner Familie allein durch meine Berührung reparieren. Es war fast wie bei einem spirituellen Heiler, der seine Hände auflegt. Ich konnte es einfach spüren.“ In der Uni sollte Chris Korda dann ihrem allerersten Computer begegnen. Hier entstand eine fast magische Synergie zwischen ihr und der Maschine – und ihrem Umfeld. „Dieser Prozess war wundervoll für mich, da ich durch Computerwissenschaften und das Ingenieurswesen in Berührung mit Menschen gekommen bin, deren Leben sich um Fakten drehen“, sagt sie. Sie bemerkte, dass man nach den Regeln des Universums spielen muss. „Leute glauben, dass sie die Regeln aufstellen. Ich bin hier, um zu sagen, dass sie es nicht tun.“ Aus dieser Erkenntnis entwickelte Korda ihren Vortrag „A Thin Layer of Oily Rock“. Denn laut Korda sei die Menschheit momentan auf bestem Wege, sich auszulöschen, bis nichts bleibt als eine geologische Gesteinsschicht. „Wenn sich die globale Temperatur um vier Grad Celsius erhöht, dann wird die Menschheit nicht mehr da sein. Wir würden zu einer dünnen Schicht aus öligem Stein werden und es war alles umsonst.“ Das sei das Grundproblem, auf welches sie im Gespräch immer wieder stößt und warum sie missverstanden wird. Es sei nicht der Planet, der in Gefahr ist: Wir sind es. „Die Wissenschaft sagt, dass wenn wir uns weiterhin verhalten, als würde es keine Grenzen in einer endlichen Umgebung geben, dann wird die Umwelt sich einfach auf eine Art anpassen, um Leben möglich zu machen – ohne uns, aber Leben auf der Erde würde fortbestehen“, erklärt sie. „Bakterien werden noch lange nach uns da sein und eine neue Spezies wird den Prozess der Menschheit emulieren. Das wird super. Fantastisch! Ein Planet aus riesigen Eichhörnchen. Die Eichhörnchen werden die Gewinner sein. Aber das macht es wieder zu einer Tragödie. Es ist eine Tragödie, da wir wahrscheinlich das einzig Interessante auf dem Planeten waren.“

Für die Aktivistin sei es nicht der Mensch, den es zu wahren gilt. Es sei das gesammelte menschliche Wissen, die Mathematik, die Architektur, die Kunst. „Was ist denn das Menschendasein? Ich meine, das Menschen- dasein ist die Summe aller Dinge, die wir erschafen haben.“ Dessen Erhalt ist ein essenzieller Auftrag, keine Frage. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, eine so lähmende Selbstverantwortung, der sich die meisten im Alltag entziehen – ob bewusst oder unbewusst. „Eskapismus ist überall unter uns. Leute können die Realität nicht wahrhaben und diese ist, dass wir nichts Weiteres als Tiere sind. Wir haben eine endliche Lebensspanne. Und die meisten von uns sterben früher als wir es gerne hätten. Wir lassen Dinge unvollständig zurück. Wir waren nicht in der Lage, eine Zivilisation aufzubauen, weil wir dachten, wir könnten unsterblich werden. Wir erschufen eine Zivilisation, indem wir eine stabile Gesellschaft ermöglichten, damit Information fortbestehen konnte“, sagt Korda und kritisiert dabei einen Gottkomplex der Elite. Zum Verständnis: Seit 2021 investieren zahlreiche Milliardäre, unter anderem Jef Bezos, in die Unsterblichkeitsforschung, wie etwa in das Forschungszentrum „Altos Labs“. „Es ist eine One-Way-Reise für alle von uns. Jeder von uns hat eine einzigartige Erfahrung damit – eine kleine Blase aus Bewusstsein und Wahrnehmung. Und dann verschleißen die Konturen dieser Blase mit der Zeit und nutzen sich ab. Eines Tages siehst du aus wie eine schöne, verwelkte Blume und danach bist du einfach nicht mehr da.“

2020 erscheint „Apologize to the Future“. Das Album ist im Vergleich zu „Six Billion Humans Can’t Be Wrong“ oder „I Like To Watch“ erstaunlich brav für Kordas Verhältnisse. Es wirkt nicht mehr wie ein Aufruf nach Veränderung. Es wird zum Manifest einer wahrgewordenen Desaster-Prophezeiung. „Ich beschreibe die Welt, wie sie in Zukunft höchstwahrscheinlich sein wird. Ich beschreibe sie aber nicht aus meiner Perspektive, sondern aus der Perspektive der Menschen dieser Zukunft. Sie werden auf uns zurückblicken und – da kann man Gift drauf nehmen – uns nicht besonders herzlich in Erinnerung behalten. Warum würden sie das auch? Wir haben ihren Planeten zerstört. Wir haben das Leben unaushaltbar für sie gemacht“, sagt Korda. „Das sage ich jeder Person, die Kinder hat. Ich sage ihnen, dass sie besser an ihrer Entschuldigung arbeiten sollen. Die Liste der Dinge, für die sie sich entschuldigen müssen, ist lang.“

Was treibt Korda an, noch mit 61 Jahren diesen Kampf weiter zu kämpfen? In einem persönlichen Brief, den sie parallel zum Album „Passion for Numbers“ veröfentlichte, schreibt sie: „Mitgefühl ist die ultimative Meta- Fähigkeit, die über allem steht.“ Die Fürsorge in Anbetracht von Leid sei die wichtigste Fähigkeit des Menschen. „Du kannst nicht mitfühlen, ohne zu leiden. Eine Person, die nicht mitfühlend ist, ist unsensibel. Unsensibel gegenüber Freude, unsensibel gegenüber Neugierde, unsensibel gegenüber allem, wie ein Stück Holz“, deklariert sie. „Der Dalai Lama hat es wahrscheinlich am besten auf den Punkt gebracht: Der wahre Maßstab des Seins ist die Tiefe des Leidens und die Tiefe der Freude. Also kann man behaupten, dass der Mensch bei Weitem das vorzüglichste Instrument für Leid ist, das sich auf der Erde entwickelt hat. Wir leiden mehr als alles andere und deswegen erschafen wir Poesie. Deswegen haben wir all diese Tragödien wie Shakespeare oder die antiken griechischen Theaterstücke. Sie verkörpern die Tiefe des menschlichen Leids.“

Heute haben sowohl ihre Sekte als auch Kordas Schafen gerade in Europa wieder neuen Zuspruch gefunden. „Die Leute zeigen heutzutage mehr Bereitschaft, uns zuzuhören, weil sie wissen, dass wir Recht hatten“, sagt Korda. „Aber die Karten liegen auf dem Tisch. Wir haben unsere Zeit damit verschwendet, uns einzureden, dass alles in Ordnung sein wird und der wissenschaftliche Fortschritt schon den Tag retten wird. Und jetzt bleibt uns keine Option mehr übrig. Das Einzige, was wir noch tun können, ist drastisch unseren Verbrauch von fossilem Kohlenstof zurückzuschrauben.“ Sie blickt auf die Kartons im Wohnzimmer und erinnert sich zurück: „Es gibt einen fantastischen Film aus den Siebzigern, der ‚Network, heißt“, beginnt sie. „Darin gibt es eine Szene, in der ein verrückter Nachrichtensprecher die Leute versucht, dazu zu animieren, ihre Köpfe aus den Fenstern New Yorks zu strecken und zu schreien: ‚Ich bin verdammt wütend und ich kann das nicht mehr ertragen!, Und die Leute gehen dem nach, weil es die TV-Generation ist. Also fangen alle an, ihre Köpfe aus dem Fenster zu strecken und zu schreien. Es hat eine befreiende Wirkung auf sie. Ich habe das Gefühl, das ist der Zustand, in dem wir sein sollten. Leute sollten zum Fenster hinausschreien: ‚Ich bin verdammt wütend und ich kann es nicht mehr ertragen. Ich will die Wahrheit erfahren. Ich will, dass endlich etwas gegen all das getan wird., Und wenn genug Leute darauf bestehen würden, dann würde vielleicht auch etwas passieren. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber es fällt mir sehr, sehr schwer momentan, optimistisch zu bleiben.“

„ES IST EINE TRAGÖDIE, DA WIR WAHRSCHEINLICH DAS EINZIG INTERESSANTE AUF DEM PLANETEN WAREN.“

„WIR LEIDEN MEHR ALS ALLES ANDERE UND DESWEGEN ERSCHAFFEN WIR POESIE. DESWEGEN HABEN WIR ALL DIESE TRAGÖDIEN WIE SHAKESPEARE ODER DIE ANTIKEN GRIECHISCHEN THEATERSTÜCKE. SIE VERKÖRPERN DIE TIEFE DES MENSCHLICHEN LEIDS.“

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