Church of Euthanasia

The One Commandment:
"Thou shalt not procreate"

The Four Pillars:
suicide · abortion
cannibalism · sodomy

Human Population:
SAVE THE PLANET
KILL YOURSELF




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Chris Korda: Die Bob Dylan des Klimawandels

Von Arno Raffeiner
10. September 2019

Chris Korda wurde in den 1990ern mit zwei Electro-Alben auf DJ Hells Gigolo-Label bekannt. Visionär waren nicht nur ihre eigenwilligen Songs, sondern auch ihr emanzipierter, offener Umgang mit ihrer Identität als transgendered person, wie sie sich selbst charakterisiert. Mit Terre Thaemlitz war Korda die erste Künstlerin, die ihre Trans-Identität in den Technoszene zum Thema machte. Gleichzeitig war sie auch eine Skandalnudel, Korda schockierte mit ihrer eigenen Religionsgemeinschaft, der Church Of Euthanasia. Deren radikaler Slogan „Save the planet – kill yourself“ entwickelt heute, angesichts einer drohenden Klima-Apokalypse, unerwartete Relevanz. Nach einer 15-jährigen Auszeit meldet sich Chris Korda mit einem Album auf Perlon zurück. Arno Raffeiner hat die Musikerin in Berlin getroffen.

Manche machen einmal im Jahr eine Woche plastikfrei. Andere schippern mit einer Segeljacht über den Atlantik. Die meisten kultivieren ein kleines bisschen Flugscham, während sie ihren nächsten Wochenendtrip buchen. Chris Korda macht nichts von all der trendy Weltrettungsfolklore. Sie setzt in Sachen Katastrophenprävention lieber auf Abtreibung, Dadaismus und die Abschaffung des Viervierteltakts. Und zwar schon seit über 25 Jahren. Aber der Reihe nach.

Für die zeitweise meist gehasste Person im Technozirkus macht Korda einen recht fidelen Eindruck. Shorts, weit ausgeschnittenes Top, darüber eine Schlabberjacke. Das Haar ist kurz und stellenweise etwas schütter, der Nagellack hat die Farbe Rosa-Gold, das Mitteilungsbedürfnis ist deutlich gesteigert. Mitten in Kordas fast zweistündigem Vortrag zu Polymetrik und Antinatalismus kommt eine junge Frau an unseren Tisch. Sie wolle nur sagen, wie toll sie Kordas Outfit fände, besonders die Ohrringe. Korda ist begeistert: „Siehst du? Genau deswegen will ich nach Berlin ziehen!“

Korda kam nicht immer und überall so gut an wie an diesem Sommerabend in den Berliner Prinzessinnengärten, einem Ort, an dem alternative Lebensmodelle für den urbanen Raum erprobt werden. Alternative Modelle sind Kordas Lebensinhalt. Einst galt sie als wandelnde Provokation. Heute ist die Standardreaktion eher: Chris wer? Über 15 Jahre lang gab es weder neue Musik noch Skandalmeldungen von ihr. Ende der Neunziger und Anfang der Nullerjahre war beides praktisch gleichbedeutend.

In einer Liga mit Stockhausen

Der 11. September 2001 ist Porno. Das World Trade Center der Doppel-Phallus des Erzkapitalismus. Die explodierenden Jets sind Penetrations- und Abspritzfantasien. Und die Welt ist einfach nur geil darauf zuzusehen.

Das war die Botschaft von „I Like To Watch“, einem Videoclip, den Korda kurz nach den 9/11-Terroranschlägen im Internet veröffentlichte. Also nach dem Tod von fast 3000 Menschen und dem Zusammenbruch einer Weltordnung. Bilder von den brennenden WTC-Türmen in New York und in den Tod stürzenden Körpern montierte Korda mit Money Shots aus Pornofilmen, dazu gab es auf der Tonspur funky Beats und Zeilen wie: „That plane-shaped hole really gets me hot.“ Für diese Ausübung des Grundrechts auf Kunstfreiheit hatte zu dem Zeitpunkt kaum jemand Verständnis.

Aus einiger Distanz besehen ist „I Like To Watch“ das Paradebeispiel des Korda’schen Aktivismus schlechthin. Polemisch und zugespitzt bis jenseits der Schmerzgrenze, ohne Rücksicht auf Pietät, Zumutbarkeit oder andere olle Konventionen. Mindestens in einer Liga mit Karlheinz Stockhausens Äußerungen zu 9/11 als dem größten Kunstwerk aller Zeiten, vielleicht noch eine Stufe drüber. „Es war super extrem, das erkenne ich an“, sagt Korda heute. „Aber ich schäme mich nicht dafür.“ Trotzdem war sie wenig später verschwunden.

2003 veröffentlichte sie noch das Album The Man Of The Future, das die Fortschrittsrhetorik von Techno etwas anders definierte. Im Titeltrack singt eine euphorisch hochgepitchte Stimme: „Those who cannot adapt must be destroyed.“ Korda passte sich selbst auch an, indem sie ihren Desktop-Computer, mit dem sie für Live-Auftritte getourt war, einmottete und sich selbst als hassgeliebte Clubikone abschaffte, zumindest vorübergehend. Sie veröffentlichte keine Musik und spielte keine Gigs mehr.

Selbstmord als Überlebensstrategie

Kordas Platz ist seit jeher das Dazwischen. Mit ihrer Musik, Kunst, Software und ihrem Aktivismus kommuniziert sie in erster Linie, dass konventionelle binäre Zuschreibungen für sie nicht passen. Wenn sie sich irgendwo zugehörig fühlt, dann dem, was sie „gender bending movement“ nennt. „Die Bereitschaft, die Mitte zu besetzen, sich nicht dafür zu schämen, ein Weder-Noch zu sein – das ist äußerst wichtig für mich“, sagt sie. Vorschriften, wie genau sie anzusprechen sei, will sie nicht machen. Das findet sie zu normativ. Sie sieht es eher als eine Frage des Respekts und der Höflichkeit, wenn sie als biologischer Mann mit weiblichen Pronomen adressiert wird. Und als ein Kompliment, über das sie sich freut wie über den spontanen Kommentar zu ihren Ohrringen.

„In Polen als Frau gekleidet zu spielen, war verdammt riskant und hat mich fast mein Leben gekostet.“

Korda wurde 1962 in New York geboren. Sie lebt heute in einem Vorort von Boston, spielt aber schon länger mit dem Gedanken, die USA zu verlassen. Falls Donald Trump im November 2020 ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt werden sollte, wird sie das endgültig tun, erklärt sie und fragt, ob man nicht zufällig etwas von einer freien Wohnung in Berlin wüsste. Abgesehen von den lokalen Szenen in Detroit und Chicago spielte der amerikanische Musikbetrieb für sie ohnehin nie eine Rolle. Dafür fiel sie auf den Tanzflächen Europas umso mehr auf.

Sie trat in Drag auf, was im Minimal-Bierernst dieser Zeit für einiges Aufsehen sorgte. „Ich habe oft genug den Tod riskiert, sogar auf Tour in Europa“, erzählt sie. „In Polen als Frau gekleidet zu spielen, war verdammt riskant und hat mich fast mein Leben gekostet. Ich habe Cross-dressing und Gender-bending betrieben, lange bevor es irgendwie akzeptiert oder ungefährlich war. Es war mutig. Es musste gemacht werden. Und aus diesem Grund tue ich es auch heute noch.“

Korda sah elektronische Tanzmusik als ideales Vehikel für ihre radikale Gesellschaftskritik. Zugleich brachte sie mit ihren Kleidern und Perücken auch einen Touch Showbiz zurück in die Clubs. Damit passte sie zu DJ Hells International DJ Gigolos und der darauf folgenden Electroclash-Welle wie die Faust zu Schwarzeneggers Bizeps im Logo des Labels.

Als 1999 ihr erstes Gigolo-Album Six Billion Humans Can’t Be Wrong erschien, hatte Korda bereits ein Leben als Software-Entwicklerin, female impersonator und Gründerin einer Religionsgemeinschaft hinter sich. Korda ist nach wie vor Reverend der Church Of Euthanasia. Das Credo der Religion ist so einfach wie widersprüchlich: Selbstmord als Überlebensstrategie. Den Slogan „Save the planet, kill yourself!“ machte Korda 1993 zum Titel eines Agitprop-Techno-Smashers, den sie zunächst selbst veröffentlichte und der erst einige Jahre später weitere Kreise zog.

Die Church ist antinatalistisch, richtet sich also gegen die Vermehrung der Menschheit als größte Bedrohung des Planeten Erde. Ihre Protestaktionen und Prozessionen sehen die Kirchenmitglieder in der Tradition des Dadaismus: Die Absurdität der Welt wird mit ebenso absurden Mitteln bekämpft. Suizid, Abtreibung, Kannibalismus und Sodomie sind die vier Grundpfeiler, mit denen die Church gegen die Überbevölkerung und damit letztlich für die Erhaltung des Habitats der menschlichen Spezies eintritt. „Diese Möglichkeiten sind optional“, erklärt Korda, denn die Church kennt nur ein einziges Gebot: Du sollst dich nicht vermehren.

Weiter als Steve Reich

Korda selbst hat sich an das Gebot gehalten. „Die Church ist relevanter als je zuvor“, sagt sie. Trotzdem war sie auch als Reverend lange Zeit nicht besonders aktiv. Die letzten 15 Jahre hat sie vor allem damit verbracht, Software für 3-D-Drucker zu entwickeln. Daneben bastelte sie an eigenen, unkonventionellen Sequenzern und anderen Open-Source-Tools. Jetzt veröffentlicht sie bei Perlon wieder neue Musik, und zwar gleich ein Konzeptalbum: Akoko Ajeji, überbordend vor polymetrischer Euphorie, ganz ohne kontroverse Botschaften.

Einen prominenten Comeback-Auftritt absolvierte Korda für den Boiler Room im DC-10 auf Ibiza. Seth Troxler kündigte eine seiner „favourite artists ever“ an. Die stand im silbern glitzernden Paillettenkleid mit knallblauer Perüccke neben ihm. Bei ihrem Set achtete Korda darauf, den klobigen Laptop vor sich so wenig wie möglich zu berühren. Stattdessen tanzte sie einen Elfentanz und übte Lip-syncing zu den Melodien ihrer alten Tracks. Ein charmant irritierender Auftritt. „Meine Show war ein Hit“, sagt Korda, „es wird viel darüber gesprochen.“

Als Teenager in New York hat Korda die Disco-Ära noch miterlebt, die ihren Ursprung in der schwulen Subkultur hatte. Sie war Pionierin auf mehreren gesellschaftspolitischen Feldern, die heute kaum relevanter sein könnten. LGBTQI-Bewegung, Veganismus, auch im World Wide Web mit seinem techno-sozialen Potenzial war Korda eine der Early Adopters. Jetzt kehrt sie mit dieser Agenda zurück in eine Szene, in der Queerness und Diversity gängige Schlagworte sind und Labels und DJs vielleicht auch mal über ihren ökologischen Fußabdruck nachdenken. Korda könnte kaum besser reinpassen. Aber kann sie wesentlich Neues beitragen? Daran hat sie keinerlei Zweifel. Sie spricht von ihrem neuen Album und dem Konzept dahinter als einer Revolution.

An der Idee arbeitete Korda schon in den Neunzigern: Polymetrik. Jede Tonspur eines Stücks folgt ihrem eigenen, an Primzahlen orientierten Metrum. So verschieben sich die einzelnen Elemente ständig zueinander und lassen den Gesamtklang immerzu morphen und mutieren. Korda nennt Steve Reich als ein Vorbild ihres Verfahrens. Aber es geht noch mehr als in den Werken des zeitgenössischen Komponisten, meint sie. „Steve Reich hat die Methode nicht so weit getrieben wie ich. Und ihm lag nicht besonders daran, Musik zu machen, die gut hörbar ist. Ich finde vieles von ihm ziemlich schwierig, nicht besonders zugänglich.“

Schiefe Tempi für schräge Zeiten

Akoko Ajeji ist Yoruba, Korda übersetzt den Albumtitel ins Englische mit „Strange Time“. Schiefe Tempi für schräge Zeiten. In der Presseinfo zum Album gibt es keinerlei biografische Informationen, dafür eine Reihe nackter Fakten zu den einzelnen Tracks. Zu „Ala Aye“ heißt es zum Beispiel: „Das Polymetrum wiederholt sich nach 118.731.810.156.960 Schlägen (rund 1,7 Millionen Jahren).“ Wer seiner Kunst eine derartige Langlebigkeit einschreibt, muss doch ein einigermaßen positives Verhältnis zur Zukunft haben, aller Evidenz und allem Aktivismus zum Trotz.

Korda sieht das nicht als Widerspruch. Der Gedanke, durch Kunst die menschliche Wahrnehmung der Zeit zu transzendieren, begeisterte sie immer schon. „Geologische Zeitdimensionen sind ein Gegengift zur aktuellen Verwirrung und zu unserer Zukunftsangst“, erklärt sie. „Wenn die Auslöschung der Menschheit plausibel erscheint, wenn wir umgeben sind von Klimachaos und den Menschen, die davor flüchten, wenn wir das Gefühl haben, dass die Zivilisation an dieser Krise zerbrechen und in Faschismus ausarten wird, dann hat eine solche Zeitrechnung etwas sehr Tröstliches. Ich denke, das ist der Zusammenhang zwischen der Ideologie hinter der Church Of Euthanasia und meinem Interesse an extremen Zeitmaßstäben.“

Alles auf Akoko Ajeji ist Zeit und Rhythmus. Das Sounddesign ist von eindeutig untergeordnetem Interesse. Die Klänge müssen so klar wie möglich sein, erklärt Korda, damit die Polymetrik richtig zur Geltung kommt. Das sorgt dafür, dass sich das Album streckenweise anhört wie ein kräftig durchgeschüttelter Sack Midi-Preset-Flöhe. Die Musik wirkt komplex, aber nicht schwierig. Sie ist spielerisch, sonnig, menschenfreundlich. Und: rein instrumental. Die große Gesellschaftskritikkeule spart Korda sich noch ein wenig auf. Eine neue EP unter ihrem spirituellen Kampfnamen Church Of Euthanasia ist bereits fertig produziert.

„Es ist politisch noch aufgeladener als früher“, sagt Korda. „Ich bin zum Bob Dylan des Klimawandels geworden. Es gibt lauter Texte über Antinatalismus, ökonomische Ungleichheit, die Auslöschung der Menschheit. So finster, wie es nur geht, und definitiv mit dem Potenzial, die Leute zu verschrecken.“ Korda gibt eine Kostprobe: „Rich people are dumb / I hope they succumb / In expensive cars / Or condos on Mars.“

„Akoko Ajeji“ ist am 06. September auf Perlon erschienen.

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