Church of Euthanasia

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„Artist’s Con(tra)ception“: Kölnischer Kunstverein zeigt erste Ausstellung Chris Kordas in Deutschland

18.06.24 - 05:00

Die Kunst von Chris Korda ist ebenso provokativ und vielfältig wie die Person selber. Und dabei von hohem handwerklichen Standard. Der Kölnische Kunstverein zeigt jetzt die erste  Übersicht über das Werk der US-Musikerin, Transgender-Aktivistin, Performerin und Software-Entwicklerin in Deutschland. Zu sehen sind Arbeiten ab den 1980er Jahren. Der Titel „Artist’s Con(tra)ception“ greift das Zwiespältige ihres Schaffens auf: Ein (englisches) Spiel mit dem Begriffspaar (künstlerisches) Konzept und Empfängnis sowie  Empfängnisverhütung als dessen Gegenteil.

Unerbittlich tickt der „Human Population Counter“ am Eingang zur Ausstellung: Er zählt die (geschätzte) Zunahme der Weltbevölkerung, jede Sekunde ein Plus, jetzt deutlich über 8 Milliarden angelangt. Eine durchaus umstrittene Entwicklung – kann die Erde die Menschheit in Zukunft noch ernähren, ohne Schaden zu nehmen? Und wie schadet der Mensch der Erde etwa durch CO2-Emissionen? 

Zentrale Forderung: „Make Love, not babies“ 

Eine Entwicklung vor der nicht nur Korda Angst hat. „Make Love not babies“ fordern denn auch zwei Schaufensterpuppen auf ihrem Plakat. Und durchaus konsequent auch Kordas Ausrufung ihrer „Church of Euthanasie“. In Deutschland ist der Gebrauch des Wortes aus dem historischen Kontext heraus nicht unbedenklich, doch meint er nicht die Tötung von „minderwertigen“ Menschen, sondern eher das freiwillige Sterben aus Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit in Erkenntnis der Grenzen des Wachstums.

    „Artist’s Con(tra)ception“: Blick in die Ausstellung von Chris Korda

So fordert ein Transparent „Save the planet, kill yourself“ (Rette den Planeten, töte dich selbst) – und leiste so einen Beitrag zur Rettung des Planeten Erde. Weiter stehen Abtreibung, Kannibalismus und Sodomie auf dem Programm der Kirche. Ein entsprechendes T-Shirt gibt’s an der Museumskasse für 15 Euro zu kaufen.    

Wer fragt das Individuum, ob es geboren werden will? 

In ihrer Serie „Overshoot slide show“ fasst sie Fotos zusammen, auf denen sie Beispiele für Umweltzerstörungen, Konsumrausch, Schiffskatastrophen, falsche Männlichkeit in Gesellschaft und Politik oder Diktaturen festgehalten hat. Eine bunte, witzige, bissige, direkte und überraschende Sammlung tatsächlicher Ereignisse. Zusammengehalten werden die 40 Collagen durch ein Gedicht, darunter die wütende Zeile „I didn’t ask to be born“ (ich wurde nicht gefragt, geboren zu werden). 

Im Riphahnsaal laufen Videos, in denen eine Tonformen in kinetische Skulpturen verwandelt, deren Form und Farben sich stetig verändern und die ordnungsgewöhnten Sinne des Betrachter verwirren. Zur Kontemplation dagegen lädt mit seinen – von Musik unterlegten – Farbspielen im Filmsaal das Video „Adagio for Color Fields“ ein. Die mit einem Programm erzeugten Kombinationen sollen sich frühestens in einigen Billionen Jahren wiederholen. 

Sich versenken kann der Betrachter auch in die kunstvoll am Computer generierten farbschillernden Hexagonen. Direkt daneben geometrische Konstruktionen und Fotos aus der GBTS-Szene. Zeichnungen und kleine Gemälde zeugen von  Kordas handwerklichen Fähigkeiten. 

Terrorangriff auf das World Trade Center als Computerspiel 

Ein eigener Saal ist Selbstporträts gewidmet. Da sieht sie sich unter Einsatz von künstlicher Intelligenz mit den Augen Gustav Klimts oder Botticellis. Sie inszeniert sich als Mischwesen aus Mensch und Maschine, etwa als Drohne oder Auto. Im Keller des Kunstvereins kann der Besucher in die umfangreiche musikalische Produktion Kordas eintauchen. 10 LP’s sind zu hören.

    „Ich wurde nicht gefragt, geboren zu werden“: Teil der Collage-Reihe „Overshoot slide show“ (40 Farbbilder, 2020)

Hier auch das wohl verstörendste Exponat: Das Video „I like to watch“. Idee, Bilder und Musik stammen von Chris Korda, bei der technischen Umsetzung hat ihr Steve Ryan geholfen. Im Mittelpunkt stehen die dokumentarischen Aufnahmen vom Terrorangriff auf das World Trade Center in New York. Es wird hier zu einem Computerspiel, eingebettet in  einen Oral-Sex-Porno, bei dem das männliche Glied zu einer Parallele der Hochhäuser wird. Daneben hängt eine Triggerwarnung – für eine gesellschaftskritische Kunst hier einmal nachvollziehbar.

Jügen Schön

Chris Korda: „Artist’s Contra(Con)ception“ – bis 14.7.2024. Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, 50667 Köln. Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr. Eintritt frei. Anfahrt: KVB-Bahn Linie 1, 4, 5, 7, 9 (Neumarkt), 12, 18, 19 (Rudolfplatz), KVB-Bus Linien 136, 146 (Neumarkt).  1, 5, 7, 9, Heumarkt. Unser Titelbild zeigt Chris Korda in der Kölner Ausstellung vor einem ihrer digitalen Farbbilder der Serie „Hex“ (2006). Alle Fotos: JS.

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